Fixpunkt: Opfer der Gewalt

Opfer der Gewalt

Beruflich bedingt habe ich in meinen Dienstjahren manche Rede zum Volkstrauertag halten müssen. Ich sehe die Gedenkstätten mit den Namen der Kriegsopfer vor mir. Sie waren Opfer von Gewalt. Nicht auf den Steinen stehen die Namen der Familienangehörigen, die mit den Folgen der Gewalt leben mussten. Und ich habe einen Ort vor Augen, der mir mit den Jahren immer mehr ans Herz gewachsen ist, die PAX-Christi-Kirche in Essen. Hier wird seit Mitte der 50er Jahre der Opfer der Gewalt gedacht, in dem ihre Namen in den Fußboden eingelassen werden. Das geschieht ohne Ansehen der Nationalität, der Religion, des Geschlechts. Hier stehen Namen von Menschen beieinander in einer weltweiten Gemeinschaft in der es keine Rolle spielt, ob dieser Mensch durch die Gewalt anderer oder an den Folgen der eigenen zu Tode kam. Jeder Name verbindet sich mit einer Geschichte, mit Mitmenschen. Dieser Fußboden weist so dringlich darauf hin, dass die Menschenwürde nicht teilbar ist. Er wehrt dem Versuch der Kategorien von Tätern und Opfern, Guten und Bösen. Es geht nicht darum, Taten zu rechtfertigen oder zu verharmlosen. Ganz im Gegenteil – die nackte Brutalität schaut einen an. Und ein Schrei nach Menschlichkeit liegt über den Platten. Die Steine rufen zur Umkehr und zum Frieden, um der Menschen willen  Dieser Boden hat seine Heimat in einer Unterkirche, die die Geschichte Jesu erzählt, eine Opfergeschichte und eine Hoffnungsgeschichte. Der Fußboden mit den Opfern der Gewalt macht mich nachdenklich über heutiges oft einseitiges Reden und lässt in mir den Ruf Jesu laut werden: “Kehrt um!“

Pfarrer Ulrich Bäck, Ev. Kirchengemeinde Urbach

  • 20.11.2023
  • Beatrix Meyer
  • Red